Mit sieben Jahren durfte Ruth Klüger in Wien auf keiner Parkbank mehr sitzen. Mit elf Jahren kam sie ins KZ Theresienstadt, später nach Auschwitz, das sie nur durch großes Glück überlebte. Zurzeit wird der erste Teil ihrer Autobiographie, "weiter leben - Eine Jugend" in 100.000facher Auflage in Wien gratis verteilt. Mit der Schriftstellerin und Literaturwissenschafterin sprach Maria Sterkl.
derStandard.at: Der zweite Teil Ihrer Erinnerungen, "unterwegs verloren", ist vor Kurzem erschienen. Anders als bei "weiter leben" haben Sie dafür einen Wiener Verlag gewählt.
Klüger: Weil es ein Wiener Buch ist. Es ist viel über Wien drin, und ich glaube, es ist im Tonfall auch Wienerischer als das erste. Und es ist im Bewusstsein geschrieben, dass ich doch irgendwie wieder Fuß gefasst habe. Dass ich hier eine Gruppe Menschen kenne, von denen ich es mir wünsche, dass sie es lesen und dass es ihnen gefällt.
derStandard.at: Wer ist das?
Klüger: Es gibt eine ganze Gruppe von Menschen, die mir durch das erste Buch zugeflogen sind. Meine Freundinnen von der Frauenzeitschrift AUF und ein paar der Dichter und Schriftsteller, die hier leben, der Robert Schindel, der Doron Rabinovici. Wien existiert wieder für mich, wie es das nicht tat, als ich das erste Buch schrieb.
derStandard.at: Es ist alles andere als ein versöhnliches Buch, was Wien betrifft. Dennoch kamen viele WienerInnen auf Sie zu.
Klüger: Ich weiß. Aber vielleicht ist es so, wie es in Hoffmannsthals "Turm" heißt: Durchs Reden kommen die Leut' zusammen.
derStandard.at: In "weiter leben" schreiben Sie: "Ich kenne die Stadt meiner ersten elf Jahre schlecht. Juden und Hunde waren allerorten unerwünscht". Seither waren Sie öfters hier. Wie gut kennen Sie die Stadt jetzt?
Klüger: Schlecht. Ich verirre mich nach wie vor hier, ich kenne mich nicht gut aus. In Wien ist mein Ortssinn besonders schlecht, denn auch wenn ich drei Mal an derselben Stelle war, verirre ich mich noch immer.
derStandard.at: Also eine Orientierungslosigkeit, die Sie an anderen Orten nicht so stark haben?
Klüger: Ich glaube ja. Da ist irgendein Widerstand, diese Stadt wirklich aufzunehmen und mit ihr zurande zu kommen.
derStandard.at: Sie haben den Wiener Umgang mit dem früheren Bürgermeister und Antisemiten Karl Lueger kritisiert. Abgesehen vom Lueger-Denkmal und dem Lueger-Ring: Fallen Ihnen andere Orte ein, die einer Umbenennung bedürften?
Klüger: Lassen Sie es mich umgekehrt sagen: Was mir auf die Nerven geht, ist, dass die großen Juden wie Sigmund Freud geehrt werden, ohne dass man dazusagt, dass sie vertrieben wurden. Zum Beispiel im Prater, da ist eine ganze Galerie von berühmten jüdischen Wissenschaftern, die sogenannten Söhne Wiens. Und nirgends steht, was mit diesen Söhnen Wiens passiert ist. Das finde ich unehrlich. Das darf man nicht wegwischen, dass sie im Exil gestorben sind oder umgebracht wurden.
derStandard.at: Gibt es Orte in Wien, die Sie meiden?
Klüger: Ich gehe nicht besonders gern dorthin, wo ich einmal gelebt habe, in den siebten Bezirk, und in den 13. Bezirk, wo meine Großeltern gelebt haben. Mir ist schon lieber, dort zu sein, wo ich weniger oder keine spezifischen Kindheitserinnerungen habe.
derStandard.at: Auch, wenn sich die Stadt verändert hat?
Klüger: Ja, aber wenn man an die alten Stellen geht, hat sie sich ja nicht verändert. Mein Sohn ist so beeindruckt, dass mein Buch 100.000 Mal gedruckt wurde, dass er gesagt hat: Das muss er miterleben. Der kommt also in zwei Tagen nach Wien, zum ersten Mal, und er hat gesagt: Können wir nicht dorthin gehen, wo du als Kind gelebt hast? Ich werde versuchen, es ihm auszureden.
derStandard.at: Was werden Sie ihm zeigen?
Klüger: Ich werde ihn lieber nach Schönbrunn schleppen und ins Kunsthistorische. Aber auch zum Denkmal am Judenplatz, das ist ja sehr interessant. Und dann zu diesem ganz kontroversen Hrdlicka-Denkmal am Albertinaplatz. Solche Dinge möchte ich ihm gern zeigen, wo man etwas zu reden hat, und wo man nicht einfach nur staunend davor steht.
derStandard.at: Wie würden Sie die Wiener charakterisieren? Im Vergleich zu den Göttingern zum Beispiel.
Klüger: Naja, sie haben halt diese Wurschtigkeit, die ich einerseits mag, weil ich auch sowas hab, und mir Prinzipienreiterei auf die Nerven geht, aber andererseits ist da auch etwas Charakterloses dabei.
derStandard.at: Sie schreiben, die Tabuisierung von Nazisymbolen gehe Ihnen auf die Nerven. Hätten Sie nichts dagegen, wenn die Leute ungestraft Hakenkreuze auf die Wände schmieren dürften?
Klüger: Nein. Ich bin Mitglied der American Civil Liberties Union, und die verbieten nichts. In Deutschland wird alles Mögliche verboten. Die Civil Liberties Union hat auch schon Nazidemonstrationen vor Gericht verteidigt, einfach, weil es um das Bürgerrecht ging. Da war ein berühmter Fall, wo Neonazis in Amerika in einer Vorstadt, wo viele Holocaustüberlebende wohnen, demonstriert haben. Das war natürlich eine Ohrfeige für diese Leute, und das sollte verboten werden. Und die Civil Liberties Union hat sich dafür eingesetzt, dass sie das dürfen und hat ihnen Anwälte verschafft. Sie hat dadurch viele Mitglieder verloren, die Juden waren, aber ich finde, sie hatten Recht. Das ist natürlich ein extremer Fall, und das, was dort verteidigt wird, ist im Großen und Ganzen eher links als rechts. Aber wenn man konsequent sein will, muss man beides verteidigen, wenn einem genug an der Freiheit und den Bürgerrechten liegt.
derStandard.at: Aus antisemitischen Worten und Symbolen werden schnell Taten.
Klüger: In Deutschland ist alles Mögliche verboten, mehr als hier, und ich sehe nicht, dass es etwas bringt. Ich sehe nicht ein, warum man Hakenkreuze verbieten soll. Da werden dann einfach andere Kreuze kommen, diese nationalen Kreuze, die die Neonazis jetzt verwenden. Es bringt nichts.
derStandard.at: In "unterwegs verloren" erzählen Sie, Sie bringen nach Wien jedes Mal die Hoffnung mit, herauszufinden, was der Grund für die mörderische Gewalt des letzten Jahrhunderts war. Sind Sie schon ein Stück vorwärts gekommen?
Klüger: Nein, ich werde es nie herausfinden, aber ich werde es immer wieder versuchen. Es passt einfach nicht zusammen. Diese ganze Nazi-Bewegung passt ja nicht in dieses mitteleuropäische Ambiente, das Deutschland und Österreich waren. Die Idee, eine Zivilbevölkerung, die Nachbarn waren, auszusperren und umzubringen, diese Idee passt nicht.
derStandard.at: Meinen Sie damit auch, es kann nicht mehr so leicht passieren?
Klüger: Im Gegenteil, es passiert immer wieder. Was nicht passieren wird, ist ein zweiter Holocaust, ein Massenjudenmord. Das wäre höchst unwahrscheinlich und paranoid, das zu denken. Aber Massenmorde an anderen Gruppen haben wir ja reichlich gesehen. Erst hat man gesagt, in Europa kann es nicht mehr passieren, dann ist es in Jugoslawien passiert. Und inzwischen haben wir Darfur. Und es geht weiter. Aber diese jüdische Katastrophe in Mitteleuropa, das war schon etwas ganz Besonderes, weil es eben eine integrierte Zivilbevölkerung war.
derStandard.at: Nach Jörg Haiders Tod war viel die Rede von Pietätlosigkeit: Man dürfe über Tote nicht schlecht reden, keine bösen Witze machen, weder über den Toten selbst, noch über die Art, wie hier getrauert wird.
Klüger: Ich nehme an, das sind schlechte Manieren, beim Begräbnis eines Menschen zu lachen (lacht). Darum finde ich diesen Witz ja ziemlich gut, wo einer sagt: "Spaß haben wir gehabt bei der Beerdigung! Drei Mal haben s' den Sarg raufgezogen, so laut haben wir geklatscht!" Ein Witz über die Pietätlosigkeit. Aber andererseits soll man ja auch über die Toten was Kritisches sagen dürfen. Man muss es sogar tun.
derStandard.at: Wo möchten Sie begraben werden?
Klüger: Ich möchte verbrannt werden und meine Asche soll übers Meer verstreut werden. Mein Sohn ist Schwimmer und hat auch Boote ganz gern, der kann das ganz gut machen.
kennedy ryan-instagram
vor 7 Jahren
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